Weshalb gibt es überhaupt Diagnosen und ab wann ist eine Essstörung behandlungspflichtig?

Heute im Gespräch mit Uwe Berger, Diplompsychologe im Uniklinikum Jena für psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie. Hier forscht er insbesondere auf dem Gebiet der Prävention von Essstörungen.
In diesem Blogartikel erklärt uns Uwe, weshalb wir im Gesundheitswesen mit Diagnosen arbeiten und welche Diagnosen im Kontext von Essstörungen in den Manualen auftauchen. Im zweiten Teil geht er auf die Entstehung von Essstörungen ein und erklärt, weshalb auch das Zeitalter von Social Media Einfluss auf die Entwicklung psychischer Erkrankungen nimmt.
Wann wird problematisches Essverhalten zu einer Essstörung?
Von einer Essstörung kann man sprechen, wenn die Gedanken und das Verhalten so sehr um das Essen kreisen, sodass der Rest des Lebens viel zu kurz kommt. Essen ist in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie im Arbeitskontext ein sehr zentrales Thema, weshalb betroffene Personen dazu neigen, sich immer mehr zurückzuziehen.
Ab wann ist eine Essstörung behandlungspflichtig?
Um das zu erkennen, ziehen sich Ärzt:innen und Psycholog:innen Diagnosemanuale wie das DSM‑V (diagnostic and statistical manual of mental disorders) oder ICD-10 (international statistical classification of diseases and related health problems) zur Hand. Verfügt eine Person über eine gewisse Anzahl und Intensität an Symptomen, bekommt sie eine Diagnose. Die Diagnose ist gleichzeitig die Eintrittskarte zur Finanzierung durch die Krankenkasse. Zum anderen kennzeichnet die Diagnose auch die notwendige Behandlung. Denn alle Erkenntnisse aus Forschung und Erfahrung werden in den Leitlinien zusammengefasst, an denen sich Äzt:innen und Psychotherapeut:innen orientieren, um damit die Qualität ihrer Behandlung zu sichern.
Essstörungen weisen die höchste Sterblichkeitsrate im Bereich psychischer Erkrankungen auf. Studien zufolge sterben bis zu 17 % an den körperlichen Folgen der Erkrankung oder begehen Suizid.
Besteht Selbstgefährdung oder Fremdgefährdung gilt immer eines: die Person ist trotz Volljährigkeit behandlungspflichtig und muss zur Not auch gegen ihren Willen in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen werden. Im Kontext der Anorexie – Magersucht – werden hier auch lebenserhaltende Maßnahmen, wie die Zwangsernährung, durchgeführt.
Welche Diagnosen gibt es im Kontext der Essstörungen und wie behandelt man richtig?
In den 60er/ 70er Jahren gab es nur die Diagnose der Anorexie, die mit starkem Untergewicht und einer massiven Angst vor Gewichtszunahme einhergeht. Damals behandelte man die Erkrankung mit absoluter Bettruhe und Nahrungsverabreichung in Hinsicht auf die Gewichtsstabilisierung. Heute weiß man, dass die multimodale Therapie im Bereich der Essstörung die bisher höchste Erfolsgwahrscheinlichkeit aufweist. Neben der Gewichtszunahme lernen Betroffene ein Bewusstsein für Sport und Ernährung zu entwickeln. In manchen Spezialkliniken gibt es auch Gemeinschaftsküchen, in denen unter therapeutischer Begleitung das Zubereiten ausgewogener Gerichte gelehrt wird.
Anders als bei der Anorexie können in besonders schlimmen,haben als Gleichaltrige ohne Erkrankung.) geht die Bulimie nicht mit einem Untergewicht einher. Betroffene befinden sich oft im Normalbereiche deswegen die Erkrankung auch lange unbemerkt bleibt. Um das Gewicht im Normalbereich zu halten führen Betroffene Maßnahmen wie Erbrechen, Extremsport und Phasen der Abstinenz durch, um der Gewichtszunahme durch Essanfälle entgegenzuwirken.
Die Anorexie und die Bulimie sind bisher die einzigen Diagnosen, die in der ICD-10 aufgeführt werden. Jedoch gibt es auch Mischformen, oder die Binge-Eating-Störung, die man dann unter der „nicht näher bezeichneten Essstörung“ diagnostiziert und demnach ebenso eine Behandlung ermöglicht bekommt.
Woher kommen Essstörungen?
Obwohl zahlreich Forschung betrieben wird, sind die Ursprünge von Essstörungen bislang unklar. Es gibt Theorien, die besagen, dass ein autoritärer Erziehungsstil mit hohem Leistungsanspruch die Entwicklung einer Essstörung bedingt – andere Theorien besagen, dass Missbrauchserfahrungen die Essstörung ausgelöst haben. Doch auch hier gibt es keine Einheitlichkeit.
Was man jedoch klar sehen kann ist, dass mit dem Zeitalter von Social Media das Geschlechterverhältnis immer deutlicher auseinandergeht. Grund hierfür scheinen die Schönheitsideale zu sein, die enorme Vergleichprozesse insbesondere bei weiblichen Jugendlichen auslösen. Das führt dazu, dass der Selbstwert oft abhängig von der Anzahl der Likes gemacht wird und das oft darin mündet, „besonders schlank und schön sein zu wollen“.
Auf die Frage, wie wir das in den Griff bekommen können, antwortet Uwe Berger: „Wir müssen heranwachsende in der Entwicklung ihres Selbstwertes helfen. Er darf nicht abhängig von objektiv gemessener Schönheit sein – wir müssen Heranwachsende daran erinnern, was tatsächlich wichtig ist. Und das ist die Persönlichkeit und die individuellen Fähigkeiten, die einen Menschen ausmachen.“
Die komplette Podcast Episode zu diesem Thema könnt ihr hier anhören:
Bist du unsicher, ob du möglicherweise von einer Essstörung betroffen bist?
Mit unserem Selbsttest, den du in weniger als einer Minute durchführen kannst, erhältst du schnell Klarheit. Durch die Beantwortung von nur 8 Fragen kannst du in kürzester Zeit herausfinden, ob bestimmte Verhaltensmuster oder Gedankenmuster auf eine mögliche Essstörung hinweisen könnten. Es ist ein schnelles und praktisches Werkzeug, um frühzeitig Warnsignale zu erkennen und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Je früher die Krankheit erkannt und eine Therapie begonnen wird, desto größer ist die Heilungschance.
Bitte beachte, dass das Testergebnis mit keiner Diagnose gleichzusetzen ist. Kontaktiere in jedem Fall deine behandelnde Ärztin oder Arzt.
Wir bieten ein Mentoring Programm für Menschen mit Essstörungen und problematischem Essverhalten sowie eine Online-Community (kostenlos) für Betroffene und ehemalige Betroffene an. Gerne findest du uns auf Instagram.
Wichtig! Die bereitgestellten Informationen sind rein informativ und sollen nicht als medizinischer Rat betrachtet werden. Bei persönlichen Anliegen oder gesundheitlichen Bedenken, ist es wichtig, dass du dich von einer qualifizierten Ärztin oder einem qualifizierten Arzt beraten lässt.